„eMOTION“ – Die erste Ausstellung im Kunst-Projekt-Raum G.A.S-station in Berlin zeigt Arbeiten zum Thema Bewegung und Gefühl
Es ist nicht zu übersehen in seiner quadratisch anmutenden Größe: Etwa zwei Meter hoch, 1,5 Meter breit, schwarz. Darauf zeichnen sich die Konturen eines Sofas ab. Eine foto-grafische Arbeit im engsten Sinne: Die Kontur gezeichnet mittels eines Lichtstrahls, eine warme, gelb-orange changierende Linie auf Schwarz. Mal geht die Linie forsch und direkt ihren Weg, dann wieder schleicht sie leicht unentschlossen dahin. Während der Lichtstrahl die Kontur erschafft, bleibt der Umraum dunkel, schwarz. Der Künstler Ronald Hackl zeichnet mit Licht, die Bewegung hinterlässt ihre Spuren. Wir ahnen sie, ohne die Bewegung zu kennen.
Ein weißer Vorhang, zwei Lichtquellen sonst nichts. Dahinter verbirgt sich eine interaktive Installation von Matthias Richter „nur liebe zählt“. Um Zweisamkeit geht es. Darauf muss man sich einlassen, denn die Kunst entsteht durch die Agierenden vor und hinter dem weißen Vorhang, diesseits und jenseits, im Licht oder im Schatten, je nach Betrachtung. Spielend oder erstarrt, distanziert oder ganz zugewandt, mit Furor oder In-sich-gekehrt das Spiel mit dem Licht erzeugt den Schatten. Der Schatten ist ein Abbild der Begegnung. Die Bewegung hier ist Teil der Emotion!
Dies sind nur zwei der 54 Arbeiten, die in der G.A.S-station, dem neu geschaffenen Berliner Kunst-Projekt-Raum der beiden Wiener Künstler Elisa Asenbaum und Thomas Stuck (Grafik Art & Sound) zu sehen sind. „eMOTION“ heißt ihr erstes Ausstellungsprojekt in Berlin-Kreuzberg. Es ist nicht einer Persönlichkeit oder einer Kunstrichtung gewidmet, vielmehr steht die Auseinandersetzung mit einem Thema im Vordergrund. „eMOTION“ meint Bewegung im Gefühl. Und dafür haben die Beiden den Schritt gewagt, verschiedene Sparten zusammen zu bringen: Kunst, Wissenschaft, Literatur. Es ist das Spiel dieser Genres, ihr unterschiedlicher Zugang zu Bewegung und Gefühl, der interessante Sichtweisen offenbart. Mehr als 90 Bewerbungen aus neun europäischen Ländern gab es.
Einen Schwerpunkt bilden Videofilme, mal kurz und knapp, mal poetisch, lyrisch oder ironisch, mal enervierend. Die Mittel spiegeln die Bandbreite moderner Medien wider, bilden die Manipulationsmöglichkeit von Zeitabläufen ab. Da ist die promovierte Medizinerin und Künstlerin Barbara Musil, die in ihrem Film „market sentiments“ den Investitionsboom im estnischen Immobilienmarkt durch Katasterpläne optisch und akustisch seziert. Im Rhythmus der Musik formt die Künstlerin neuen imaginäre Marktplätze – ein Spiel, formal und dennoch lebendig mit animierten Linien und freien Flächen auf Landkarten.
Oder die Trickfilm-Darstellung des Huchel-Gedichtes „Exil“ durch Magdalena Pfeiffer. Die akustische Ebene des Gedichtes folgt der Natur, Himmel und Wolken, Wasser und Stein. Die fotografische Ebene, aufgenommen in der Berliner U-Bahn, bildet die Filmkulisse, in der sich gezeichnete Figuren und Formen aus der Kulisse lösen, bewegen und wieder verschwinden. Ein poetisches Wechselspiel zwischen Sichtbarem und Verborgenem, Kommen und Gehen.
Und wer sich fragt, wie Darstellungen aus dem naturwissenschaftlichen Bereich hier hinein passen, wird überrascht. Diese Arbeiten sind mindestens genauso spannend und anregend. Physiker wie Reinhold A. Bertlmann oder Franz Embacher, beide Koryphäen in ihrem Spezialgebiet, machen ganz unmissverständlich klar, dass Formel-Sprache weit mehr ist als nüchterne Wissenschaft oder pure Ratio. Egal, ob es um Beschleunigung, Trägheit oder Masse geht, um den freien Fall, Quantenmechanik oder die richtige Art, Teebeutel zu analysieren. Wer eine Konstante eines Systems verändert, erzeugt neue Formen, neue Bewegungen, neue Richtungen.
So unterschiedlich Assoziationen von Bewegung in der Raum-Zeit-Achse sein können, so streng durchdacht ist das Konzept der Ausstellung. Unmittelbar neben der Lese- und Hörecke sind Arbeiten platziert, die sich mit der Dynamik des Lesens befassen. Neben den interaktiven Computeranimationen, die die Gesetze der Physik anschaulich erfahrbar machen, hängen Landschaftsaufnahmen, die dem Betrachter suggerieren, er befinde sich in Bewegung. Die große Lichtzeichnung mit dem Sofa wird durch ein Buch über Quantenmechanik ergänzt. Auf der gegenüberliegenden Seite hängen Kunstwerke, die sich eher emotionalen Aspekten im Kontext zu gesellschaftspolitischen Aussagen widmen.
Und auch der Begriff Filmteppich wird beim Wort genommen. Super-8-Filmstreifen aus den 70er und 80er Jahren, die analog dem Weben zu einem Teppich zusammengefügt wurden, bilden den Übergang zum Videoraum. Hier ist nichts zufällig, selbst wenn es so scheint!
Die Besucher werden bei diesem Parcours aus Malerei, Grafik, Fotografie, Film, Hörstücken, Wissenschaft, Literatur und Analyse aus der Konsumentenhaltung herausgerissen. „Das Werk setzt sich erst beim Betrachter zusammen und dazu braucht er die Fähigkeit zu assoziieren und auch die Motivation, Kunst und Wissenschaft verstehen zu können.“ Elisa Asenbaum und Thomas Stuck sind überzeugt, dass ihr Ausstellungskonzept einen Aha-Effekt bewirkt, dass Besucher einen aktiven, kreativen Prozess vollziehen, in einen Dialog mit den Kunstwerken treten, jetzt oder später.
Elisa Asenbaum und Thomas Stuck haben in der G.A.S-station mit ihrer ersten Ausstellung „MOTION“ ein ambitioniertes Kunst-Projekt auf die Beine gestellt. Auch der Katalog, 106 Seiten in Farbe und als Hardcover mit interessanten thematischen Bezügen, unterstreicht ihren Anspruch, nicht in Sparten oder Schubladen zu denken.
Ina Krauß (Freie Journalistin, Berlin)